MAURICE EMMANUEL UND DEUTSCHLAND
Maurice Emmanuel (1862-1938), französischer Komponist und Musikwissenschaftler, hat sich von klein an für Deutschland interessiert. Tiefe Bewunderung empfand er für die Hauptwerke Mozarts, Beethovens und Haydns. Schon mit 15 Jahren bat er seinen Vater um neue Partituren: „Was hast Du mir doch alles letztes Jahr geschenkt: Wilhelm Tell, den ersten Band der Klaviersonaten von Beethoven, 3 Sonaten für Klavier und Geige von Beethoven. Da ich jetzt in einer Notlage bin, nichts Neues mehr habe, spiele ich Beethoven mit den Partituren meines Freundes Saleilles, Haydn mit denen meines Freundes Poisot.“
Vom 10. Lebensjahr an lernte Maurice Emmanuel Deutsch am Collège Monge, einer katholischen Privatschule in Beaune. Während seiner Schulzeit an diesem Gymnasium wurde er immer mit dem 1. oder 2. Preis für das Fach Deutsch ausgezeichnet. Er begeisterte sich für die deutsche Dichtung. Wie Nietzsche fühlte er sich von der griechischen Kultur und Kunst angezogen. Die Geburt der Tragödie hat er aber sicherlich nicht im Urtext gelesen. 1891 besucht er zum ersten Male Österreich (Salzburg, Innsbruck, Hallstatt) und dann Bayern (Berchtesgaden) zu Fuß – und verkörpert sozusagen den Wanderer.
1896 schließt Maurice Emmanuel seine Habilitation mit dem Thema „Der Tanz im antiken Griechenland“ ab. Dafür musste er eine große Anzahl von wissenschaftlichen Werken deutscher Sprache konsultieren. Diese Arbeit machte Maurice Emmanuel weit über die Grenzen Frankreichs bekannt. Da er jedoch nicht gleich eine Professur an der Universität erhielt, nahm er eine Mission des französischen Erziehungsministeriums an. Zwischen April und November 1897 sollte er nun in Österreich und Deutschland die Strukturen und die Organisation der Musikhochschulen und die Musikwissenschaft an den Universitäten untersuchen. Maurice Emmanuel verbessert zunächst einmal durch Privatunterricht seine Deutschkenntnisse. Trotzdem muss er in Wien feststellen, wie schwierig es ist, alles zu verstehen und sich korrekt auszudrücken. Sein Reiseplan führt ihn nach Wien, Budapest, Graz, weiter nach München, Nürnberg, Berlin (Gedankenaustausch mit Furtwängler). In Prag lernt er Guido Adler kennen. Die nächsten Etappen waren Dresden und Leipzig, wo er von Arthur Nikisch empfangen wird. Dann geht es weiter nach Eisenach und Frankfurt (Gespräch mit Prof. Stockhausen), Koblenz, Straßburg und Köln. Diese Bildungsreise öffnet ihm neue Horizonte. Daraus folgert er : „Das Amateurhafte hat in Deutschland in der Musik nichts zu suchen. Bei unseren Nachbarn spielt die Musik eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft, und dies gilt auch für den Einzelnen.“ Über seine Studie für das Ministerium hinausgehend, legt er seine Schlussfolgerungen in zwei Artikeln dar: La Musique dans les Universités allemandes (La Revue de Paris, n° 11, 01.06.1898) und Les Conservatoires de musique en Allemagne et en Autriche (La Revue de Paris, 01.03.1900). Maurice Emmanuel konnte zahlreiche Kontakte mit Persönlichkeiten der Musikwelt in Deutschland und Österreich knüpfen, insbesondere mit dem Geiger Joseph Joachim.
Er war zwar kein Wagner-Verehrer, schätzte aber Tristan und Isolde, Parzifal und Die Meistersinger von Nürnberg. Im Rahmen seiner Lehrveranstaltungen, als Professor für Musikgeschichte an der Pariser Musikhochschule (1909-1936) räumte er der deutschen Musik große Bedeutung ein. Ein paar Beispiele: „Händel und Bach“, „Die Klaviermusik von Beethoven bis heute“, „Liszt“, „Haydn und Mozart“, „Das deutsche Theater: Weber und Wagner“. Am 8. April 1932 hielt er einen Vortrag zum Thema: „Goethe und die Musiker“.
Sein bester Freund war in den 1890er Jahren ein junger österreichischer Musiker, Richard Mandl (1859-1918). Dieser regte Maurice Emmanuel immer wieder zum Komponieren an. Der Erste Weltkrieg 1914-18 unterbrach auf brutale Weise ihren brieflichen Gedankenaustausch. Nach 1918 machte Maurice Emmanuel durch die Vermittlung des Pianisten Isidore Philipp (1863-1958) die Bekanntschaft von Ferruccio Busoni (1866-1924). Daraus entwickelte sich eine Geistesverwandtschaft, und es ergab sich bald eine gegenseitige Widmung der Werke: Maurice Emmanuel widmete ihm seine Sonatine sur des modes hindous (1920) und Busoni die Toccata. Am 2. April 1920 schrieb Busoni an Emmanuel: „Mit Dank habe ich die chansons bourguignonnes erhalten und bin begeistert von diesem natürlichen Charme und der künstlerischen Klavierbegleitung“ .
Es soll hier nur angemerkt werden, dass die Enkelin von Maurice Emmanuel, Anne Eichner-Emmanuel, eine Karriere als Germanistin – als Deutschlehrerin in den Vorbereitungsklassen für Elitehochschulen – hinter sich hat.
Die Präsenz von Maurice Emmanuel in Deutschland heute
Musikkritische Arbeiten :
- Prof. Dr. Reinhard Kapp an der „Hochschule für Musik und darstellende Kunst“ in Wien (Österreich) hat als Diplomarbeit das Thema „Maurice Emmanuel (1862-1938), Katalog seiner musikalischen Werke“ an François-Pierre Descamps vergeben. Die Arbeit wurde im Juni 1994 angenommen.
- Der österreichische Komponist und Musikwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Daniel Schlee hat 1998 im Katalog zur Wanderausstellung „Olivier Messiaen – La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem“ Maurice Emmanuel ein Kapitel (S. 76-83) gewidmet. Olivier Messiaen war an der Musikhochschule Paris ein Schüler von Maurice Emmanuel.
- Dr. Ulrich Linke arbeitet in Köln über die Beziehungen zwischen Messiaen und Emmanuel. Vorher hatte Ulrich Linke sich schon mit Emmanuels Sonatines beschäftigt.
Werkaufführungen Maurice Emmanuels in Deutschland :
- Mit Hilfe der Urheberrechtsaufstellung der SACEM (entspricht der GEMA in Deutschland) wissen wir, dass Emmanuel oft in Deutschland gespielt wird. Vor allem folgende Werke : Trois Odelettes anacréontiques, Première Symphonie en la, Sonate violoncelle et piano, Sonate clarinette, flûte et piano, Symphonie bretonne, Chansons bourguignonnes. Aber diese Aufstellungen sagen nichts aus über die Orte der Konzerte und nichts über die Interpreten.
- Paul Meyer, Emmanuel Pahud und Eric Le Sage haben auf einer Deutschlandtournee die Sonate für Klarinette, Flöte und Klavier sehr oft gespielt (CD, Mai 2005, French connection, EMI 5579482).
- Rundfunk und Schallplatten sind für den Bekanntheitswert von Maurice Emmanuel von großer Bedeutung. Anmerken darf man, dass die erste CD mit Orchesterwerken von Maurice Emmanuel 1993 durch den Einsatz von Rudolf Hohlweg beim Südwestfunk (vom Symphonie-Orchester Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Gilles Nopre und James Lockhart) eingespielt wurde (Marco Polo 8.2233507).
- Dr. Thomas Daniel Schlee hat mehrmals das Orgelwerk Trois pièces pour orgue gespielt.
- Am 21. November 2008 brachte die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie in Magdeburg die Suite française unter der Leitung von Christian Simonis zur Aufführung, - und dies im Rahmen der Veranstaltung „Brücken zu Messiaen“.
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